Klassik Heute – Gordon Sherwood Piano Works II

Gordon Sherwood Piano Works

Er war ein Phänomen, ein musikalischer Solitär, eine Ausnahmeerscheinung und auch ein Original: Gordon Sherwood. Der amerikanische Komponist hatte die besten Aussichten, eine rasante Karriere hinzulegen, doch stattdessen entschied er sich für ein rastloses Leben. Zunächst mit seiner Frau in Afrika, dann alleine in Asien und schließlich als Bettler in Paris mit Zwischenstationen in Costa Rica und England. Seine letzten Jahre verbrachte er in einer diakonischen Einrichtung im bayerischen Herzogsägmühle, wo er 2013 starb. Hier hatte er nicht zuletzt durch das Betreiben der Ingolstädter Pianistin Masha Dimitrieva eine neue Heimat gefunden, die – musikalisch wie rechtlich – als Nachlassverwalterin Sherwoods fungiert. Auf ihrem Label Sonus Eterna und bei cpo erscheinen derzeit nach und nach Aufnahmen mit Werken Sherwoods, wobei Dimitrieva die Klavierwerke naheliegenderweise gleich selbst übernimmt. Die hier vorliegende zweite Folge der Klavierwerke zeigt die Bandbreite des Stils Sherwoods. Die reicht von postimpressionistischen Klangspielereien à la Debussy in einer Air aus den Seven Descriptive Piano Pieces op. 6 über Stilkopien im klassischen Stil à la Mozart und Haydn in zwei Rondos op. 4 bis hin zu Sherwoods hochorigineller, von asiatischer Philosophie und Ludwig van Beethovens Sonate op. 111 beeinflusster eigener Sonate op. 122.

Musikalisches Chamäleon
Die klassische Moderne, mit der der Copland-Schüler Sherwood ebenfalls vertraut war, ist mit den Three Pieces op. 22 vertreten und auch der Blues, der für den musikalisch wie philosophisch stets aufgeschlossenen Sherwood ebenfalls eine wichtige Inspirationsquelle war, kommt mit den Variations on a Blues Theme op. 33 zu seinem Recht. Allein diese Aufzählung macht schon deutlich, wie versatil das musikalische Chamäleon Sherwood war. Nichts blieb ihm fremd, und doch ist sein einzigartiger Stil mehr als die bloße Amalgamierung disparater stilistischer Strömungen. Die nach klassischen Vorbildern komponierten Rondos op. 4 etwa muten in ihrer Stilistik eher wie hyperrealistische Konzentrate eines stilistischen Grundprinzips an. Sherwood treibt Haydn und Mozart hier quasi auf die Spitze, er übertreibt sie, und zwar so, dass das Ergebnis klassischer als die Klassiker selbst ist. Anders verfährt er mit Beethoven, dessen Sonate op. 111 er gewissermaßen nachkomponiert hat – allerdings mit seinen eigenen musikalischen Mitteln. Hier schimmert Beethoven immer mal wieder durch, formal wie musikalisch, doch hat Sherwood hier eindeutig die Überhand. Die hat auch Masha Dimitrieva, die Sherwoods Werke wundervoll spielt. Den beiden Rondos op. 4 etwa verleiht sie klassische Leichtigkeit, die Air aus op. 6 spielt sie mit subtilem Klangsinn. Und auch die Schwergewichte wie die fast halbstündige Sonate op. 122 und die Blues-Variationen erklingen hier in jeder Hinsicht brillant und überlegen gespielt. Auf weitere Folgen der Sherwood-Reihe darf man also gespannt sein.

Guido Krawinkel [19.03.2021]


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