Klassik Heute: Igor Loboda – Werke für Violine und Klavier

CD-Cover Igor Loboda
CD-IL

Holger Sambale (22.06.2022):

Wenn man dem Namen Igor Loboda schon einmal begegnet ist, dann vermutlich am ehesten in Zusammenhang mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt, dem vormaligen Staatlichen Georgischen Kammerorchester, das 1990 in toto aus der damals noch bestehenden Sowjetunion emigrierte und seitdem in Ingolstadt ansässig ist. Loboda, Jahrgang 1956, spielt dort in den zweiten Violinen, ist aber auch ein ausgesprochen produktiver Komponist und bereits zweimal auf CD-Produktionen des Kammerorchesters mit eigenen Werken vertreten. Die vorliegende Neuerscheinung des Labels Sonus Eterna, die Werke für Violine und Klavier präsentiert (wobei nicht immer beide Instrumente gleichzeitig beteiligt sind), ist das erste Album, das zur Gänze seinen Kompositionen gewidmet ist.

Neoklassizismus, Folklore und Jazzeinflüsse

Das gewichtigste Werk der CD ist Lobodas erst 2021 entstandene Violinsonate (bzw. Sonate-Fantasie) Nr. 2, anhand derer sich die grundlegenden stilistischen Koordinaten seiner Musik gut nachvollziehen lassen. Neoklassizistische Tendenzen (siehe etwa die schreitenden Bassfiguren des Mittelteil im Stile einer barocken Aria) treffen auf georgische Folklore und Jazzeinflüsse, Letztere u.a. in Form von rhythmischen Figuren wie 3+3+2 Achteln und bluesartigen harmonischen Rückungen, in der Regel (und gerade in diesem Werk) aber längst nicht so prominent wie etwa bei Nikolai Kapustin. Eines der zentralen Motive der Sonate, die Achtelfolge g-g-as-g-b-g-as-g, die so ähnlich übrigens auch in der Fantasie Latino Sempre vorkommt und für Lobodas Melos auch insgesamt recht charakteristisch erscheint, lässt darüber hinaus an Schostakowitsch denken. Gut gemachte, sauber gearbeitete Musik, die auch Lobodas grundsolide kompositorische Ausbildung bei hierzulande eher wenig bekannten, aber durch und durch kompetenten Komponisten wie Alexander Schawersaschwili und Wladimir Zytowitsch verrät.

Breite stilistische Palette

Ähnlich wie die Sonate in jüngerer Zeit entstand, sind die Etudes-Tableaux Nr. 1–5 für Klavier, Teil eines (wohl noch im Entstehen begriffenen) ein Zyklus von 24 solcher Etüden. Knapp gehaltene, konzentrierte Miniaturen, in denen Loboda mitunter stärker die Grenzen der Tonalität auslotet als in den übrigen Stücken auf dieser CD. Das andere Extrem repräsentieren insbesondere die drei abschließenden Stücke, in denen Einflüsse von Jazz, lateinamerikanischen Tänzen und Unterhaltungsmusik dominieren. Im Katzentanz etwa – dem einzigen Werk für Violine solo auf dieser CD – begleitet sich der Geiger selbst durch allerhand rhythmische Zisch- und Schnalzgeräusche, ein Werk übrigens, das anscheinend auch in der Schulmusik Verwendung gefunden hat und dessen gerade einmal anderthalb Minuten Lobodas Gespür für die richtigen Dimensionen verraten, er überreizt seine Effekte nicht. Die georgischen Wurzeln des Komponisten zeigen sich besonders im Klavierstück Tbilisoba, das an entsprechende Miniaturen z.B. von Balantschiwadse oder Taktakischwili erinnert. Reizvoll ist Der Walzer in 4 für Klavier, ein Walzer also, der im 4/4-Takt geschrieben ist, wobei das zusätzliche Viertel hier als retardierendes Moment, als auskomponiertes Zögern zu verstehen ist.

Vorzügliche Anwältin von Lobodas Musik

In der Pianistin Masha Dimitrieva hat Loboda eine vorzügliche Anwältin für seine Musik gefunden. Sie vermag die von Stück zu Stück ja durchaus verschiedenartige Charakteristik seiner Miniaturen stets treffend zu realisieren. An der Violine ist Loboda selbst zu hören, was diesen Aufnahmen obendrein ein besonderes Siegel der Authentizität verleiht. Das Beiheft stellt Loboda und seine Werke ausführlich vor, hier und da hätte dem Text allerdings noch etwas Redaktion gut getan (beim Boueles-Saal wird es sich sicherlich um den Boulez-Saal handeln etc.). Leider geht aus Trackliste und Text die Besetzung der einzelnen Stücke nicht immer eindeutig hervor. Summa summarum ist Loboda hier als ein vielseitiger, handwerklich souveräner und oft auch humorvoller Komponist zu erleben. So weit wie Franz Hummel (bekanntlich selbst Komponist), der Loboda gar als einen der „fantasievollsten Komponisten Europas“ bezeichnet, würde ich sicherlich nicht gehen, aber es gibt auch jenseits aller Superlative genug Raum für Hörenswertes, und hier ist Lobodas Musik fraglos anzusiedeln.