Onlinemerker: CD Igor Loboda – Werke für Violine & Klavier

CD-Cover Igor Loboda

CD: IGOR LOBODA – WERKE FÜR VIOLINE & KLAVIER

13. September 2022

Von Manfred A. Schmid

„Was die Georgier singen, ist wichtiger als alle Neuentdeckungen der modernen Musik. Es ist unvergleichlich und einfach. Ich habe nie etwas Besseres gehört,“ sagte Igor Strawinsky über die georgische Musik. Wenn nun erstmals Werke von Igor Loboda, eines Komponisten mit georgischem Background, auf CD erscheinen, noch dazu im Label Sonus Eterna, das sich zum Ziel gesetzt hat, „Unbekanntes bekannt zu machen“, ist das Interesse natürlich groß. Was für eine eigene Note hat dieser Komponist, der in Tiflis und Petersburg ausgebildet wurde, der Musik der Gegenwart beizumischen? Gelingt es ihm, und wenn Ja: wie gelingt es ihm, die Musik mit seinem Schaffen zu bereichern?

Der 1956 Tiflis geborene Loboda singt nicht, spielt aber Violine und ist Mitglied des Georgischen Kammerorchesters, mit dem er 1990 ins bayerische Ingolstadt kam, wo er – wie das gesamte Orchester – ansässig wurde und heute noch lebt. Ganz so unbekannt ist der Komponist freilich nicht. Werke aus seiner Feder erklangen schon in der Berliner Philharmonie und Elbphilharmonie und wurden von namhaften Künstlern wie Gidon Kremer und Lisa Batiashvili uraufgeführt. Nur Tonaufnahmen gab es noch keine, bis sich nun Masha Dimitrieva, die Gründerin von Sonus Eterna und unermüdliche Förderin von Komponisten, die es ihrer Meinung nach verdienen, beachtet zu werden, seines Schaffens angenommen hat.

Die georgische Musik, das zeigen vor allem die Volkslieder und georgischen Choräle, weist bekanntlich einen hohen Grad an polyphoner Harmonienkomplexität auf. Die archaischen Tonfolgen sind zwar, wie Strawinsky feststellte, einfach, entfalten in der dieser Musik eigenen Mehrstimmigkeit aber eine außergewöhnliche Spannung und Intensität. Zudem ist diese Musik nicht dem europäischen diatonischen System unterworfen, sondern verwendet auch Viertel- und Achteltonschritte, was das Aussagespektrum stark erweitert. Aufgrund dieser Einzigartigkeit wurde der georgische Gesang 2001 in die erste UNESCO-Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen.

Von dieser vertikalen harmonischen Eigenart und der horizontalen Archaik der Tonfolgen ist in den auf der vorliegenden CD enthaltenen Kompositionen allerdings wenig zu spüren. Selbstverständlich wäre es vermessen, in den darauf enthaltenen Solo-Klavierwerken und in den Klavierparts der für beide Instrumente komponierten Stücken ein Abweichen von der gewohnten Diatonik zu erwarten. Das ist schon allein technisch unmöglich. Aber bei der Violine, die der menschlichen Stimme – nach dem Cello – am nächsten kommt, hätte man schon melodiösen Erweiterungen begegnen können. So aber bleibt das gebotene Klangspektrum auf den gewohnten slawisch-russisch-europäischen Ausdruckskanon beschränkt, wie man ihn z.B. im Neoklassizismus eines Prokofiev oder im ausgeprägten Personalstil eines Schostakowitsch finden kann. Die in Anlehnung an das georgische Lied „Tbiliso“ entstandene Komposition „Tbilisoba“, die dem Titel nach das jährlich gefeierte Stadtfest in der georgischen Hauptstadt Tiflis beschwört, kommt so ziemlich ohne exotische Elemente aus der georgischen Tradition aus, und auch das darauffolgende „Fest in Zeiten der Pest“ basiert nicht auf einem Tschaikowski-Walzer, sondern variiert eine Walzermelodie aus der Fledermaus von Johann Strauß. Der literarische Impuls zu diesem Stück kommt allerdings, wie im beiliegenden Booklet zu lesen, von Puschkins „Ein Festmahl während der Pest“. Dieser Umstand zeigt, dass sich der musikalische und geistige Kosmos von Igor Loboda mehr aus dem russisch-europäischen Fundus konstituiert und eher wenig mit Georgien zu tun hat.

Das ist aber keine Enttäuschung, sondern eine Erkenntnis, zu der man über einen Umweg gekommen ist. Man hätte dem Bekenntnis des Komponisten auf der ersten Seite des Booklets mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. Denn dort heißt es klar und unmissverständlich: „Für mich wichtig sind die Musik von Johann Sebastian Bach, den ich wie einen Gott verehre, sowie georgische Volksmotive und Jazz. Bach hatte alles in seinen Werken – alle Richtungen der Musik, auch Swing. Seine Musik ist eine unglaublich reiche Quelle der Ideen, oder ein ,Meer‘, wie Beethoven sagte.“

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Damit hat man nun den richtigen Schlüssel zum Werk dieses Komponisten in der Hand, und man versteht, warum er es sich in den Kopf gesetzt hat, in Anlehnung an Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ „24 Ètudes-Tableaus“ zu komponieren, von denen fünf auf der vorliegenden CD enthalten sind. Vortrefflich gespielt von Masha Dimitrieva, die nicht nur mit den technischen Herausforderungen dieser „Etüden“ im Sinne Chopins spielend fertig wird, sondern auch den steten Flow, wie ihn Loboda in der Nachfolge von Bach in Gang setzt, stets spürbar werden lässt. Wie schon im bereits erwähnten Stück „Fest in der Zeit der Pest“ ist auch in diesem Zyklus eine Auseinandersetzung mit der Corona Epidemie zu finden. Ètüde Nr. 5 trägt den Zusatz „Corona“ und vermittelt das ständige Schwanken zwischen Hoffen und Bangen, bis der letzte Akkord mit schriller Dissonanz in einen verzweifelten Aufschrei mündet

Auf diese Werke für Klavier solo folgt das Herzstück der Aufnahme, die dreisätzige „Sonate-Fantasie Nr.2 für Violine und Klavier“. Sie enthält Elemente der georgischen Volksmusik, freilich weniger in melodiösem Sinn, sondern vor allem rhythmisch, wie dies etwa im „Horumi“-Tanz im 5/4-Takt vorgeführt wird. Kampfgeist, dynamische Konfrontationen und Rivalitäten bestimmen das Zusammenspiel, das immer wieder zu Momenten des Innehaltens führt und schließlich in einem elegischen Largo ungewiss ausklingt.

Was darauf folgt, sind jazzige, bluesige und humoristische Charakterstücke, darunter ein swingender Walzer im 4/4 Takt (!), ein lebensfroher, übermütiger, offenbar in Rio de Janeiro, mit einem Zwischenstopp in Tiflis, angesiedelter „Latino Sempre“, und ein skurriler „Katzentanz“, in dem der Interpret – der Komponist himself – mit Schnalz- und Zischgeräuschen das Geigensolo aufpeppt.

Im abschließenden Stück „Don’t worry“ wird es noch einmal südamerikanisch, aber auch hier mit einem Überraschungsgast in Form von Mozarts Eine kleine Nachtmusik. Die Botschaft ist klar: Be happy!

Ein – im besten Sinn des Wortes – interessanter Komponist. Igor Loboda ist nicht d i e große Entdeckung, der Jazz z.B.  geht über Gershwin nicht hinaus, und das ist schon sehr lange her, aber immerhin ein Künstler, der es – mit seiner, die einengenden Grenzen sprengenden Musik – verdient, vor den Vorhang geholt zu werden. Und das ist Masha Dimitrieva gelungen. Abschließender Befund zur Befindlichkeit des Rezensenten: Quite happy.