Klassik Heute – CD-Besprechung Gordon Sherwood – The Complete Songs, Vol. II

Holger Sambale [27.07.2021]

Es ist das Verdienst der Pianistin Masha Dimitrieva und ihres Labels Sonus Eterna, dass das Schaffen des amerikanischen Komponisten Gordon Sherwood (1929–2013) in den letzten Jahren diskographisch immer besser erschlossen worden ist; mit Folge zwei der Gesamteinspielung seiner Lieder liegt nun schon die vierte CD ihres Sherwood-Projekts vor. Sherwood war ein großer Außenseiter mit einem außergewöhnlichen Lebensweg: Schüler u.a. von Copland, Jarnach und Petrassi, konnte er bereits während seines Studiums beachtliche Erfolge feiern, entschied sich aber dagegen, Teil des musikalischen Establishments zu werden. Nach längeren Aufenthalten im Nahen Osten, Kenia und Südostasien lebte er seit 1982 in Paris, wo er sich seinen Lebensunterhalt und seine kompositorische Tätigkeit als Bettler finanzierte. Seinen Lebensabend verbrachte er in einer diakonischen Einrichtung in Bayern.

Sherwoods Musik ist für eine Vielzahl von unterschiedlichsten Einflüssen offen, beginnend mit der westeuropäischen Musiktradition von Barock bis hin zur klassischen Moderne, darüber hinaus begegnet man u.a. Jazzmusik und Blues sowie Musik des Orients, aus Indien oder Fernasien, insofern die zahlreichen Stationen seines Lebens reflektierend. So entstand eine Gesamtwerk, das verschiedenste Anregungen aufgreift und zur Synthese bringt und dabei doch eine ausgesprochen persönliche, kommunikative, (von Moden) unabhängige Stimme aufweist.

Natur, Liebe und Kindheitserinnerungen

Die drei auf der vorliegenden CD versammelten Liederzyklen entstanden zwischen 1969 und 1973 und basieren – wie fast immer bei Sherwood – auf eigenen Gedichten. Die Four Romantic Songs handeln von Natur und (erster) Liebe, auch in der Retrospektive, die Seven Songs of Mother Nature bieten kleine, sehr suggestive Naturszenen und -schilderungen, und die Songs from My Childhood blicken auf die Kindheit zurück und erinnern an Sinneseindrücke und kleine, womöglich prägende Geschehnisse. Die überwiegende Zahl der Lieder ist eher kurz, lyrisch, poesievoll und intim gehalten; dramatischere Momente und größere Emphase finden sich vor allem in den umfangreicheren Liedern aus den Songs from My Childhood.

Kunstvolle Einfachheit und vielfältige Schattierungen

Alle drei Zyklen befassen sich also mit verwandten Themengebieten (nicht zufällig beginnt und endet die CD mit einer Frühlingsbrise), und sicherlich wirkt die Neuerscheinung inbesondere aus diesem Grund auf den ersten Blick homogener, von größerer stilistischer Einheit geprägt als manche der bisherigen Sherwood-Veröffentlichungen. In der Tat kann der Titel des ersten Zyklus’ durchaus als richtungsweisend für die gesamte CD betrachtet werden, denn einen gewissen romantischen Kern haben viele der Lieder. Ihre Melodik ist zumeist ungemein eingängig, von zarter, natürlicher und gleichzeitig kunstvoller Schlichtheit, die Harmonik klar tonal und oft reich, dabei aber (wie übrigens auch die Wahl der Tonarten) sehr gezielt eingesetzt, um eine Vielzahl von Nuancen und Schattierungen zu realisieren. Gewissermaßen unter der Oberfläche findet man allerdings wiederum die für Sherwood typischen mannigfaltigen Einflüsse. Beispielhaft sei hier auf das abschließende Lied der Four Romantic Songs verwiesen, das in der Tat so romantisch anmutet wie der Titel suggeriert, bei näherem Hinschauen jedoch zugleich von Bach und Bluesmusik inspiriert ist. Dass dies völlig organisch und wie selbstverständlich geschieht, gehört zu den Insignien von Sherwoods Kompositionskunst.

Erstklassige Interpretationen, vorzügliches Beiheft

Die Interpretationen durch die Sopranistin Felicitas Breest und Masha Dimitrieva sind erstklassig; besonders hervorzuheben ist die Natürlichkeit von Breests Darbietung, während Dimitrievas Klavierspiel die zahlreichen den Text reflektierenden Details, die Sherwoods Musik auszeichnen, exzellent zu gestalten versteht. Auch die Klangqualität der Aufnahmen ist insgesamt sehr gut (lediglich das abschließende Lied der Songs of Mother Nature weist ein etwas distanzierteres Klangbild auf als die übrigen Lieder), wünschenswert wären allerdings längere Pausen zwischen den Liederzyklen. Ein besonderes Lob gebührt dem ausführlichen Beiheft mit einem vorzüglichen Begleittext von Florian Schuck, der auf jedes der Lieder detailliert eingeht und dem Hörer zahlreiche wertvolle Hinweise an die Hand gibt, sowie Sherwoods Gedichten im Original und in deutscher Übersetzung. Die Sorgfalt, mit der Sherwood und seine Lieder hier präsentiert werden, darf getrost als exemplarisch bezeichnet werden. Alles in allem eine ausgezeichnete Produktion.