„The New Listener“-Rezension: Gordon Sherwood Piano Works, Vol. I

Wenn ein Komponist sogar ein Leben als Bettler in Paris auf sich nimmt, um der allgemeinen Betriebsamkeit des Musikbetriebes zu entfliehen und um dafür andererseits genügend Zeit (und das wenige Geld, was er zum Überleben benötigt) zu haben für sein Hauptziel, nämlich das Komponieren, dann kann man sich vorstellen, dass da etwas ganz Besonderes in Erscheinung tritt: Ein Mensch, der auch in seinen Kompositionen kompromisslos ist, nicht nach Aufführungen schielt, seine Beziehung zu seiner Frau in den Wind schießt und als Weltreisender komponiert, wo immer es geht, sei es sesshaft, wenigstens für eine Weile, sei es unterwegs im Zug auf den Knien.
Das die russische Pianistin Masha Dimitrieva nach dem Anschauen des legendären Fernsehfilms über Sherwood ‚Der Bettler von Paris’ (nachzusehen auf YouTube) nicht nur seine Adresse herausfand, sondern ihn und seine Musik zu einem ihrer Standbeine zu machen bereit war– sogar ein eigenes Label gründete sie in diesem Zusammenhang –, veranlasste Sherwoood zu einem ihr gewidmeten Klavierkonzert, das 2004 uraufgeführt wurde. Auf dieser CD sind einige seiner vielen Klavierkompositionen zu hören, die sofort unmittelbar ansprechen.
Sherwood sollte zwar nach dem Wunsch des Vaters eine Karriere beim US-Militär anstreben, doch er weigerte sich, wurde stattdessen Musiker, dessen erste Symphonie großen Beifall erhielt und seinen Lebensweg endgültig vorzeichnete: Unstet bis chaotisch, in vielen Ländern – und deren Musik – zu Hause, ein rastloser Wanderer, der ausgerechnet in Bayern in der Herzogsägmühle seine letzte Wohn- und Arbeitsmöglichkeit fand. Seine Musik verwendete alles, was ihm wert schien, vom Blues seiner amerikanischen Heimat bis zu Anklängen indischer oder orientalischer Musik, natürlich polyphon geschult an Meistern wie Bach.
Heute ist Masha Dimitrieva die beste Sachwalterin für Sherwoods Musik, alle Möglichkeiten stehen ihr zur Verfügung, um auch die vertracktesten rhythmischen Boogie-Woogie-Kanons zum mühelosen Spiel zu machen, wie alle anderen Stücke auch. Der Steinway-Flügel ist das Instrument dafür, direkt, aber nicht nervend aufgenommen.
Das ausführliche Booklet gibt sowohl über Sherwood und seine Kompositionen als auch über Masha Dimitrieva erschöpfend Auskunft.
Wir dürfen gespannt sein, was an Entdeckungen der Musik dieses genialen „Bettelmusikanten“ noch auf uns wartet.
[Ulrich Hermann, Januar 2018]


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